Dr. phil. Paul Natterer

Geschichtlicher Rückblick

Es wurde gesagt: Die empirische Datenbasis der Religionsphilosophie ist Gegenstand der Religionswissenschaft mit ihren Unterdisziplinen Religionsgeschichte, Religionsphänomenologie [Morphologie], Religionspsychologie und -soziologie. Hier nun ein Abriss der einschlägigen Daten und Theorien der Religionsgeschichte seit dem Beginn dieses sehr jungen Faches der Religionswissenschaft als eigener wissenschaftlicher Disziplin Anfang / Mitte des 19. Jh. Da unser Thema die Religionsphilosophie des prophetischen Theismus ist, wird der Abriss besonders die theistische Gottesidee in der Geschichte der Religion skizzieren. Auch darauf wurde bereits hingewiesen.

Selbstverständlich ist dieses Feld schon vorher immer wieder bearbeitet worden: Fast alle in Folge vorzustellenden Theorien zu Entstehung, Entwicklung und Wesen von Gottesvorstellung und Religion sind bereits im Altertum zum ersten Mal Herodotus Athens Stoà of Attalus Photo by Giovanni DallOrto Nov 9 2009vorgetragen und erörtert worden. Der griechische Historiker Herodot (484425 v. C., Büste links, Athen: Stoa des Attalus) und der Philosoph Demokrit (460370) gaben aus eigener Anschauung sehr genaue Beschreibungen der Religionen Ägyptens, Babyloniens, Persiens und Skythiens (Innerasiens). Aristoteles' Nachfolger Theophrastos (372287) schrieb die erste Religionsgeschichte in 6 Büchern. Der griechische Schriftsteller Megasthenes war zwischen 302 und 297 v. C. mehrmals in offizieller Mission als Gesandter in Indien und beschrieb den Brahmanismus und überhaupt die hinduistische Religiosität in dem Werk Indika.

Zugleich setzte die philosophische Religionskritik ein: bei Platon (427347 v.C.), in anderer Form bei Epikur (342270 v.C.) und Lukrez (9853 v.C.) und in noch einmal anderer Form in der spiritualistischen, allegorischen Auslegung der Mythen und Riten in Stoa und Neuplatonismus. Auch religionswissenschaftliche Werke i.e.S. entstanden: Euhemeros (330260 v.C.) entwickelte den Ansatz des Euhemerismus oder Manismus, wonach Gottheiten auf Ahnen, v.a. ehemalige Könige und Heroen zurückgehen. Ciceros Werk De natura deorum beschreibt und erörtert ergänzt durch die beiden anderen religionsphilosophischen Schriften Ciceros De fato und De divinatione die Glaubensvorstellungen und Riten der Zivilisation des letzten vorchristlichen Jahrhunderts.

Dass auch und gerade die Repräsentanten des prophetischen Theismus Israels und seiner objektiven Tradition als inspirierte Sprecher (Propheten) einer nach Dauer und Konsequenz singulären Religions- und Kultkritik ins Relief treten, wird in den folgenden Untermenus thematisch sein: Man schlage nur irgendein Buch der Tora oder der Propheten auf. Woyke, J.: Götter, "Götzen", Götterbilder: Aspekte einer paulinischen "Theologie der Religionen", Berlin / New York 2005, zeigt dasselbe Bild für die Schriften des neutestamentlichen Israel. Auch die Schriften der sog. frühchristlichen Apologeten und Augustinus' De vera religione und De civitate dei sind schwerpunktmäßig Religionskritik und -philosophie. Augustinus De civitate dei (Vom Gottesstaat, 413426 n. C.), v.a. in den Büchern 110, ist die umfassendste, detaillierteste und reflektierteste wissenschaftliche Darstellung und Kritik der römisch-griechischen und überhaupt indogermanischen Götterwelt in Theorie und Praxis, durch den vielleicht brillantesten Analytiker der antiken Zivilisation. Sie verbindet unmittelbares persönliches Erleben derselben mit Aufarbeitung aller wichtigen religionsphilosophischen Autoren der Antike unter durchgängiger Konfrontation mit dem prophetischen Theismus des alt- und neutestamentlichen Israel. Die Bücher 1122 thematisieren darüber hinaus in entsprechender Weise summarisch die orientalischen und afrikanischen resp. ägyptischen Religionen und Kulturen.

Kompakter, aber ähnlich umfassend und logisch strukturiert ist Athanasius' Werk Contra gentes (Gegen die Heiden, 320 n. C.). Weitere weltliterarische Klassiker zur Religionsgeschichte und -kritik sind Origenes: Contra Celsum (248 n. C.), Eusebius von Caesarea: Praeparatio evangelica (ca. 323 n. C.), und Theodoret von Cyrus: Graecarum affectionum curatio seu evangelicae veritatis ex gentilium philosophia cognitio (Heilung der griechischen Krankheiten oder Erkenntnis der evangelischen Wahrheit aus der heidnischen Philosophie, vor 449 n. C.).

Im Mittelalter dokumentiert und diskutiert der aus dem damals noch weitgehend vom Parsismus (Zoroastrismus) geprägten Persien stammende Autor Al-Shahrastani (10861153) in dem monumentalen Werk Kitab al-Milal wa al-Nihal alle Religionen, Konfessionen und Philosophien der Geschichte und wird so zu einem Begründer der Religionswissenschaft als objektiver Beschreibung des religiösen Phänomens und der geschichtlichen Religionen der Menschheit. Weitere bedeutende Religionswissenschaftler und -philosophen dieser Epoche waren von islamischer Seite Averroes (11261198), von jüdischer Seite Maimonides (11351204) und von christlicher Seite Thomas Aquinas (12251274) mit der Summa contra gentiles. In der Renaissance liegen von zahlreichen Autoren religionswissenschaftliche Werke vor, welche die überwältigende Fülle von Informationen durch die weltweiten Entdeckungsreisen und durch Berichte von Missionaren zu verarbeiten suchten.

In der weiteren Neuzeit haben v.a. die Aufklärer Voltaire und Hume das Thema Religion und hier v.a. des Monotheismus historisch und kritisch behandelt. Voltaire hat in diesem Punkt wie die abrahamitische Offenbarungsreligion (Buch Genesis der Tora) die Depravationstheorie vertreten, "wonach die ursprünglich geoffenbarte reine Wahrheitserkenntnis oder Vernunftreligion durch das Heidentum bzw. die verschiedenen geschichtlichen Religionen abgelöst und damit verdunkelt und 'verderbt' worden seien" (Bertholet: Wörterbuch der Religionen, Stuttgart 1976, Stichwort Depravationstheorie). "Das Gegenteil besagt die religionsgeschichtliche Evolutionstheorie ..., die an eine allmähliche Höherentwicklung der Gotteserkenntnis denkt." (ebd.) Letztere wurde von David Hume in The Natural History of Religion (1757) vertreten, der im Fetischismus und Polytheismus die erste und älteste Religion sieht, während der Monotheismus erst in späterer Zeit mit der Höherentwicklung von Kultur und Denken erschienen wäre. Ähnlich Rousseau.

Pettazoni, eine erste Autorität auf dem Gebiet der archaischen Religion, orientiert über den Hintergrund: "Woher stammte nun bei Hume und Rousseau diese neue Theorie? [...] Es sind die Entdeckungen, [...] die von Reisenden, Missionaren usw. gelieferten ethnographischen Angaben, die die Grundlage für die neue Theorie bilden. Hume beruft sich ausdrücklich auf die Religionen der wilden Volksstämme von Amerika, Afrika und Asien" (Pettazoni: Der allwissende Gott, Frankfurt a. M. 1960, 110). Diese Evolutionstheorie der Religion beherrschte später auch lange Zeit die Religionswissenschaft des 19. Jh.: "Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts [... wurde] der Begriff eines höchsten Wesens als Element von größter Bedeutung im religösen Glauben und Leben der unzivilisierten Völker" entdeckt (Pettazoni, ebd. 111). Der folgende Abriss zur Religionswissenschaft zeichnet die Stationen dieser Debatte nach.

Religionsgeschichte im Rahmen der Religionswissenschaft

Romantik und Symbolismus

F. W. Scheling [WikiCommons]Als selbstständiges Fach entstand die  Religionswissenschaft erst Anfang des 19. Jh. in Deutschland (Tübingen und Heidelberg), zusammen mit der Sprachwissenschaft, und zwar im Zusammenhang der Romantik. Insbesondere Schelling als der philosophische Sprecher der Romantik hat mit seiner sog. positiven Spätphilosophie oder Philosophie der Mythologie und der Offenbarung hierfür den Weg bereitet. Sie ist Religionsphilosophie und -geschichte. In Schellings zweiter Periode wird Philosophie nicht mehr als reine Vernunftwissenschaft betrachtet, sondern als die Vernunfterkenntnis überschreitende positive Wissenschaft. Zwar wird auch hier, wie im Deutschen Idealismus überhaupt, das Ganze der Wissenschaft aus einem Prinzip abgeleitet, welches jedoch als über der Vernunft gelegenes transzendentes angesehen wird, dessen Folgen freie, vom Wollen oder Nichtwollen abhängige sind, und daher nur durch positive Erfahrung: Geschichte und Offenbarung, erkannt werden können. Vgl. Hutter: Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt / M. 1996, und M. Gabriel: Der Mensch im Mythos: Untersuchungen über Ontotheologie, Anthropologie und Selbstbewusstseinsgeschichte in Schellings Philosophie der Mythologie, Berlin / New York 2006. [Bild oben: Friedrich Wilhelm Schelling, 17751854]

Dabei war erkenntnisleitend "die Idee Schellings, der als erste Form der Gottesidee einen rudimentären, relativen Monotheismus annahm, den er Henotheismus nannte" (Pettazoni 1960, 112). Dies meint, dass der Glaube an einen ersten und obersten Gott und Schöpfer hier nicht dessen Ausschließlichkeit, sondern nur Herausragendheit aus einer Reihe weiterer Götter bedeutet. Dies kann sich wie in den Religionen Indiens mit dem Phänomen verbinden, dass kultische Konzentration auf den jeweils angesprochenen und verehrten Gott gleichsam monotheistisch ist, als ob es keine anderen Götter gäbe. Schelling hält diese Stufe (wie auch Hegel) für eine notwendige Übergangserscheinung im "ganzen mythologischen (theogonischen) Prozeß" von einer bloß apriorischen angeborenen Disposition zum Monotheismus zu dessen freier Erkenntnis. Diese philosophische Spekulation verarbeitet zwar mit dem Henotheismus ein tatsächliches und häufiges Phänomen, dessen Stellung vor oder nach einem ev. Monotheismus  jedoch nach der historischen Faktenlage alles andere als eindeutig und selbstverständlich ist (s.u.).

Dazu kommt ein sprach- bzw. begriffsanalytisches Problem, auf das Max Müller, der Begründer der Religionswissenschaft, sehr drastisch hinwies: "Ehe die Griechen den Himmel oder den Mond Götter nennen konnten, mußten sie notwendigerweise schon irgend eine Idee der Gottheit in sich entwickelt haben. Daher können wir durch das Schlingkraut der mythischen Phraseologie hindurch noch immer jenen Stamm erkennen, ohne welchen diese ihr Schmarotzerleben gar nicht hätten fristen können." (Vorlesungen über Sprachwissenschaft II, 2. Aufl. Leipzig 1870, 446ff) Das Argument ist nichts anderes als die Anwendung einer zentralen Einsicht Platons und der modernen Wissenschaftstheorie (Frege, Carnap, Popper) auf die Religion. Die Einsicht nämlich von der notwendigen Voraussetzung der Idee oder begriffsanalytischer Universalien (hier: apriorische Idee des Göttlichen) für empirisches Denken und Erkennen (hier: faktische, geschichtliche religiöse Vorstellungen). Vgl. hierzu das Menu 'Philosophie der Logik', insbes. die Untermenus 'Logisches Universum' und Logische Metatheorie'.

Görres J.A.N. Settegast ca.1848 gemeinfrei NetzErste Versuche der neu entstehenden Religionswissenschaft stammen von Hegels Freund und Denkpartner Friedrich Creuzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker, Leipzig 1810/1812, und Joseph von Görres: Mythengeschichte der Asiatischen Welt, Heidelberg 1810. Auch Schleiermachers Religionsphilosophie folgt dieser Richtung. Sie nahmen einen psychischen Ursprung der Religion an, v.a. in Form eines Alleinheitsgefühls mit dem Göttlichen in der Natur und/oder einer animistischen Beseelung und Personifizierung von Naturkräften. Die ursprüngliche religiöse Erfahrung im Gefühl des göttlichen Unendlichen hätte man in anschaulichen Symbolen, Bildern und Allegorien ausgedrückt, welche später durch Dichter, Künstler und Priester ausgearbeitete symbolische Deutungen und Einkleidungen erfahren hätten in Form von Mythen, Götterbildern und Götterkulten. Die esoterischen Mysterienkulte (Mithraskult, Isis und Osiriskult u.a.) und die Philosophien (Stoa, Neuplatonismus) der Spätantike hätten den ursprünglichen Sinn dieser Symbole als Allegorien des unendlichen Göttlichen wieder freigelegt. [Portrait oben, ca. 1848, von J. A. N. Settegast: Joseph von Görres, 17761848]

Naturmythologische Schule

Der ebenfalls aus Deutschland stammende, aber in Oxford wirkende Sanskritforscher Max Müller, ist sodann als eigentlicher Begründer der Disziplin anzusprechen. Er führte den Ansatz der Romantiker weiter und baute ihn zu einer wissenschaftlichen Theorie aus, welche Naturmythologische Schule genannt wurde und v.a. Religionen der indoeuropäischen Völker untersuchte. Göttliche Wesen sind demnach Naturgottheiten, d.h. Personifikationen von erhabenen oder grundlegenden Naturobjekten und -vorgängen: Gestirne (Himmel, Sonne, Mond, Sterne) Gewitter (Blitz, Donner, Regen) Erde Feuer. Grundlegend Müller: Chips from a German Workshop, London 18671875. Die Schule benutzte die historisch-philologische Methode, d.h. die Analyse der Schriftdokumente der alten Völker.

Eine spätere Richtung zu Ende des 19. Jh. war der Panbabylonismus, welcher den Akzent auf die Astralmythologie der alten Hochkulturen legte, deren Religionen sich infolge der fortschreitenden Entzifferung der assyrisch-babylonischen Keilschriften und der ägyptischen Hieroglyphen immer mächtiger offenbarten. Sie wurden als Zwischenstufe zum Monotheismus angesehen: Die Sonnenmythologie der vaterrechtlichen Kulturen (siehe hierzu in Folge) hätte die Sonne mit dem Höchsten Wesen identifiziert, die Lunarmythologie der mutterechtlichen Kulturen den Mond; für die vaterrechtlichen Hirtennomadenkulturen sei überhaupt ein höchster Himmelsgott charakteristisch, der fallweise auch mit Sonne oder dem Himmel identifiziert wurde. Grundlegend: Siecke, E.: Liebesgeschichte des Himmels, Straßburg 1892; Ehrenreich, P.: Die allgemeine Mythologie und ihre ethnologischen Grundlagen, Berlin 1910, sowie Winckler, H.: Himmels- und Weltenbild der Babylonier, Leipzig 2. Aufl. 1903. Diese Schule bedeutete wissenschaftsgeschichtlich ein Neuaufleben und eine Gegenoffensive der Naturmythologie gegen den in Folge vorzustellenden Animismus.

Fetischismus

Mit dem Aufkommen des Darwinismus und der Evolutionstheorie sowie des Materialismus und Positivismus entstand ab 1859 die konkurrierende Schule des Fetischismus, deren Vordenker August Compte war. Compte knüpft aber offensichtlich ebenso an die ebenfalls evolutionistischen religionsgeschichtlichen Ansätze D. Humes (The Natural History of Religion, London 1757) und Ch. de Brosses' (Du culte des dieux fétiches, Paris 1760) an. Compte sah den Ursprung der Religion zwar auch in den Naturgottheiten, aber nicht als Gestalt und Verkörperung höherer beseelter Mächte (Personifikation), sondern als unmittelbare göttliche Verehrung der Naturgegenstände selbst (Gestirne, Feuer, Steine, Tiere) qua Fetische.

Das Wort Fetisch hat bei Compte mithin eine sehr weite Bedeutung, die nicht nur greifbare Gegenstände (Zähne, Klauen, Schwänze, Hörner, Muscheln, Steine, Medizinbeutel) und zugängliche Objekte (Bäume, Flüsse, Berge) umfasst, sondern auch den Kult der entfernten Gestirne (Astrolatrie) als "Große Fetische". Erst in einer zweiten Entwicklungsphase seien diese Dinge mit innewohnenden Geistern begabt worden und so eine Vielzahl von Göttern entstanden (Polytheismus).

Feldforschungen in Westafrika, der Hochburg des Fetischismus, hatten freilich das Ergebnis, dass in praktisch allen Fällen die Verehrung nicht dem Objekt oder Element selbst gezollt wird, sondern diesem, insofern es ein Symbol entweder der Ahnen- und Häuptlingsgottheiten oder der Erdgötter ist (Leonard: The Lower Niger and its Tribes, London 1906; Talbot: The Peoples of Southern Nigeria, Oxford 1926). Zum Hintergrund: Die traditionelle religiöse Welt Westafrikas besteht einerseits in der Verehrung eines höchsten Himmelsgottes (s.u.), der die Erde zur Gemahlin hat, von welcher Erdgötter abstammen, und andererseits im Kult der Ahnen und verstorbenen Könige.

Animismus und Manismus

E. B. Tylor [WikiCommons]Die Naturmythologische Schule als herrschendes Paradigma abgelöst hat aber erst der Animismus Edward B. Tylors. Maßgeblich: Primitive Culture. Research into the Development of Mythology, Philosophy, Religion, Art and Custom, London 1872. Methodologisch galt von nun an "in der Religionswissenschaft ... die von E. B. Tylor ... zur festen Regel gemachte evolutionistische Theorie, die in der klassischen Formel Animismus Polytheismus Monotheismus zum Ausdruck kam. Sie galt als die einheitliche, feststehende Gradeinteilung der religiösen Entwicklung der Menschheit." (Pettazoni: Der allwissende Gott, Frankfurt a.M. 1960, 9) Tylor betonte allerdings, dass er seinerseits August Compte (s.o.) Idee und Methode des evolutionistischen Ansatzes verdanke. [Bild rechts: Edward Burnett Tylor, 18321917, Begründer der sog. Social Anthropology, der führenden englischen Schule der Völkerkunde und des methodischen Ansatzes der kulturellen Evolution]

Religion wird hier vom Seelenbegriff abgeleitet, welcher durch die Phänomene von Schlaf und Tod einerseits und Träumen und Visionen andererseits entstanden sei. Im ersten Fall als die Erfahrung lebender Körper in Isolation von ihrem Lebensprinzip (Seele); im zweiten Fall als Erfahrung einer seelischen Realität isoliert vom Körper. Daraus sei der Gedanke an ein Weiterleben nach dem Tod, an Seelenwanderung und an den Totenkult entstanden.

Auf einer zweiten Stufe sei nicht nur dem Menschen, sondern auch Tieren, Pflanzen, Naturdingen neben dem Körper eine Seele zugesprochen worden. Aus dem Ahnenkult sei drittens die Existenz reiner Geistwesen abgeleitet worden. Der so gewonnene Begriff von selbstständigen Geistern sei viertens auf die Natur angewandt worden, so dass man sich Berge, Bäume, Feuer, Quellen, Flüsse, Meer etc. von Naturgottheiten qua Geistern bewohnt oder beseelt dachte.

Daraus wiederum habe sich der höhere Polytheismus (Himmelsgott, Regengott, Donnergott, Feuergott, Erdgötter, Kriegsgott etc.) der Kulturvölker entwickelt, sowie die Unterscheidung in gute, förderliche und böse, schädliche Geister. Der Monotheismus wird als Spätphase betrachtet, welche aus der Idee eines Göttervaters oder der Idee einer Weltseele hervorgehe.

Man hat gegen den Animismus eingewandt, dass er im Grunde eine panpsychistische oder hylozoistische Weltanschauung (Allbeseelung der Natur einschließlich der Materie) beschreibt und keine Religion. Dennoch wirkte dieser evolutionistische Animismus im 19. Jh. unmittelbar auf die historisch-philologische Bibelkritik, etwa Julius Wellhausens. Vgl. Lippert, J.: Der Seelenkult in seinern Beziehungen zur althebräischen Religion, Berlin 1881.

H. Spencer [WikiCommons]Parallel dazu wurde eine weitere These zum Ursprung der Religion von Herbert Spencer vorgetragen (Principles of Sociology, London 3 Bde., 18761896): der Manismus. Er führt Religion auf den Ahnen- und Totenkult zurück und ist damit auch eine Spielart des Animismus. Der Manismus blieb neben dem Animismus (der ihn integrierte, siehe oben) drei Jahrzehnte die im Vordergrund stehende Theorie. [Foto rechts: Herbert Spencer, 18201903. Er vertrat in der Linie Tylors ein 'Universelles Postulat der kulturellen Evolution' und gilt als Begründer des Sozialdarwinismus]

Totemismus und Magismus

Zwei Richtungen suchten über den Animismus auf noch frühere und elementarere Stufen zurückzugehen. Eine davon sah in Tierverwandtschaft und -magie des Totemismus eine präanimistische Ur- oder Vorstufe der Religion. Diese Richtung geht wie insbesondere bei Durkheim, s.u. stark darauf aus, Religion soziologisch zu begründen, als Symbol und Begründung sozialer Strukturen, Funktionen und Gruppen. Wichtig sind hier Frazer, J. G.: Totemism and Exogamy, 4 Bde., London 1910; Durkheim, E.: Les formes élémentaires de la vie religieuse, Paris 1912, und Freud, S.: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, Leipzig / Wien / Zürich 1913. Doch es zeigte sich, dass der Totemismus (i) nicht allgemein verbreitet ist und daher nicht die älteste Form der Religion sein kann. Und dass er (ii) auch trotz religiöser Anklänge keine eigentliche Religion ist, sondern ein soziales System mit einer entsprechenden Ideologie.

Über den Totemismus noch einmal hinausgehend, sahen andere in der Erfahrung und Beherrschung von Macht oder Zauberkraft in der Natur die präanimistische Urform der Religion: Magismus oder Dynamismus. Wilhelm Mannhardt (18311880) zeigte in Wald- und Feldkulte, 2 Bde., Berlin 1875/77 [Nachdr. 2004] die Bedeutung der die höhere Gestirnmythologie ergänzenden niederen Mythologie in den Riten, Sagen und Glaubensvorstellungen der Bauern: heilige Haine, Baumgeister (Dryaden, Nymphen), Holzfräulein, Wilder Mann, Pan, Maifrau und Maimann, Maikönige, Lebensruten, Werwolf, Vampire usw. Mannhardt war die Quelle und Inspiration für das einschlägige angelsächsische Standardwerk Frazer, J. G.: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion, London 1890 [3. Aufl. in 12 Bdn. 1907/13]. Frazer hat wiederum entscheidend den führenden gegenwärtigen Religionskritiker, Richard Dawkins, inspiriert. Maßgeblich sind auch: King, J. H.: The Supernatural, its Origin, Nature and Evolution, 2. Aufl. London 1892, und Lévy-Bruhl, C.: La mentalité primitive, Paris 1912.

Es handelt sich dabei um eine Kausaltheorie der Religion, insofern man die Beobachtung (i) mentaler, persönlicher und (ii) unpersönlicher, materieller Kausalkräfte am Anfang religiösen Erlebens stehen sieht. In der Regel sieht man den Fall (ii) als ursprünglicher an. Man verweist auch auf das Vorkommen des Glaubens an eine allgemeine kosmische Zauberkraft: Mana (Melanesier) Wakan (Sioux) Orenda (Irokesen) Manitowi (Algonkin) Boylya (Australier) Ngai (Massai). Aus (i) habe sich dann der Glaube an persönliche Geistwesen als Lenker der Welt entwickelt und damit Religion und Ethik. Aus (ii) folgte der Glaube an unpersönliche Naturkräfte und -gesetze und damit Magie und später Naturwissenschaft als Kontrolle und Macht über dieselben.

R. Otto [WikiCommons]Eine jüngere Richtung ist jene des emotionalen Dynamismus oder Magismus. Er sieht in numinosem Schrecken und Faszination durch das Übermächtige und -menschliche (Mysterium tremendum et fascinosum) das Motiv der Religion. Vertreter sind der Altmeister der amerikanischen Psychologie, William James mit The Varieties of Religious Experience, New York / London 1902; Nathan Söderblom: Das Werden des Gottesglaubens, Leipzig 1916; und v.a. Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 1917. Eine moderne, aber auch öfters eigenwillige  Bearbeitung des Magismus, Totemismus und Animismus und der Religionsgeschichte überhaupt stammt von dem einflussreichen Vertreter der empirischen Anthropologie Arnold Gehlen: Urmensch und Spätkultur, Wiesbaden 51986. [Foto links: Rudolf Otto, 18691937, Theologe und Kenner der Religionen Asiens und Afrikas, mit großem Einfluss auf Paul Tillich, Mircea Eliade und C. G. Jung]

Archaischer Hochgottglaube

Der das letzte Drittel des 19. Jh. beherrschende Ansatz des Animismus wurde durch den bedeutenden Schüler Tylors, Andrew Lang, aufgrund sachlicher Indizien so massiv in Frage gestellt, dass von einem neuerlichen Paradigmenwechsel gesprochen werden kann. Schon Schelling hatte auf den Befund hingewiesen, dass die vergleichende indogermanische Sprachforschung die Anerkennung eines höchsten Himmelsgottes als charakteristisch für die großen Hirtenvölker (Viehzüchternomaden) festgestellt habe. Die klassische Darstellung ist Schroeder: Arische Religion, 2 Bde., Leipzig 1914 und 1916. Forschungen bei den australischen Ureinwohnern brachten um 1900 aus ganz anderer Richtung massive Zeugnisse bei für einen Hochgottglauben der Primitiven. Bahnbrechend: Howitt: The Native Tribes of South-East-Australia, London 1904 [zuerst 18821889], und Lang: The Making of Religion, London 1898, ders.: Magic and Religion, 2. Aufl. London 1901, ders: Myth, Ritual, and Religion, 2. Aufl. London 1901. Lang ist im Übrigen in Großbritannien außer als Ethnologe v.a. als Sprach- und Literaturwissenschaftler im Range der deutschen Gebrüder Grimm bekannt.

A. Lang [WikiCommons]Lang machte deutlich, dass die von ihm bisher vertretene Theorie des Animismus bei den australischen Ureinwohnern nicht greife: Diese primitiven Stämme kennten (i) keinen ausgeprägten Ahnenkult, zeigten (ii) keine Verehrung von Naturgeistern und (iii) würden Sitte und Gesetz auf den Willen des höchsten Wesens zurückführen. Lang führt den Gottesbegriff dieser und anderer Stämme auf der materiellen Urstufe der Jäger und Sammler auf die kosmologische Anwendung der Kategorien der Kausalität, Autorität und Moralität zurück: "Unter den niedrigsten uns bekannten Rassen finden wir gewöhnlich ... den Glauben an einen unsterblichen 'Vater', 'Meister', 'Macher' und auch jenen Haufen von humorvollen, obszönen, phantastischen Mythen, welche in flagrantem Gegensatz stehen zu dem religiösen Charakter jenes Glaubens." (Making of Religion I, 45) Erstere religiöse Auffassung steige "aus dem menschlichen Intellekt" auf; letztere mythischen Ideen dagegen aus "der spielenden und unstäten Phantasie". In der weiteren Entwicklung habe das ungezügelte und magische zweite Element die ursprüngliche ethische Gottesidee in Form von Fetischismus, Animismus und Polytheismus überwuchert. [Zeichnung oben v. B. Murdock: Andrew Lang, 18441912]

Parallel dazu lieferten Feldforschungen bei den ältesten und ursprünglichsten nordamerikanischen Indianerstämmen ähnliche Ergebnisse. Maßgeblich Kroeber, A. L.: Indian Myths of South Central California. In: UC Publ. Am. Arch. Ethn. 4 (1906/07), 167250, und ders.: The Religion of the Indians of California. In: ebd. 319356. "In Zentralkalifornien gibt es stets eine wirkliche Schöpfung der Welt, der Menschheit und ihrer Einrichtungen. Die Auffassung des Schöpfers ist oft eine ganz erhabene", was sich in seinen Namen spiegelt: 'Der Alleingehende', 'Der Obenseiende', 'Der Erdinitiator', 'Der Erdmacher', 'Der Adler' (Kroeber 1906/07, 343). Neben dem Schöpfer findet sich regelmäßig die personifizierte Gestalt der Bosheit: 'Der Kojote'.

Auch bei den Pygmäenvölkern Zentralafrikas und Südostasiens ergab sich derselbe Befund, den zuerst Schmidt zusammenfasste: Die Stellung der Pygmäenvölker in der Entwicklungsgeschichte des Menschen, Stuttgart 1910. Globale Übersichten zu den Hochgott-Traditionen boten Radin: Primitive Man as Philosopher, New York 1927, und ders.: Monotheism among Primitive Peoples, London 1954; Lowie: Primitive Religion, New York 1924; auch Heiler: Das Gebet, München 1918. Der Glaube dieser Stämme an ein höchstes Wesen oder einen Himmelsgott bedeutet übrigens nicht, dass nicht in unterschiedlicher Ausprägung und Form andere Geister und göttliche Wesen, wie manchmal auch eine Gemahlin und Kinder des höchsten Wesens vorhanden sind, die in der religiösen oder magischen Praxis vielfach im Vordergrund stehen können (siehe in Folge).

Allsehendes Himmelswesen

Der im 20. Jh. führende Religionswissenschaftler zum religiösen Gottesbegriff in Völkerkunde und Anthropologie, Raffaele Pettazoni (18831959, Bologna und Rom) legte seit 1922 zu den Fakten eine Theorie vor, wonach das eine Höchste Wesen dieser Stämme der existentielle Glauben an ein Himmelswesen sei, das ursprünglich die mythische Personifikation des einen Himmels qua sichtbares Firmament ist und kein logisch-begrifflich strukturierter [Mono-]Theismus. Maßgeblich: The All-knowing God: Researches Into the Early Religion and Culture, London 1956. Pettazoni hat so in gewissem Sinn den o.g. Ansatz der Astralmythologie weitergeführt.

Eine gute Zusammenfassung bietet Pettazoni: Der allwissende Gott, Frankfurt 1960, v.a.1876: "Der Himmel, der personifizierte und vergöttlichte Himmel, ist der höchste Träger der Allwissenheit, die sich auf die Gabe des Alles-Sehens gründet. Der vedische Dyaus, der griechische Zeus, der römische Jupiter stellen Personifizierungen des 'Vater Himmel' dar und sind allsehend-allwissend. Waqa, das höchste Wesen bei den Galla, ist völlig eins mit dem Himmel, ebenso Yero bei den Kaffa und so [...] bei einer großen Zahl höchster Wesen, bei den verschiedensten Völkern und Kulturverhältnissen [...] In der chinesischen Religion ist das höchste Wesen T'ien oder Shang-Ti. T'ien ist der 'Himmel' und zwar der natürliche Himmel wie auch der 'Himmel' als göttliches Wesen [...] Der Begriff eines höchsten allsehenden und allwissenden Wesens ist allen Negervölkern Afrikas gemeinsam, Bantu, Sudanesen, Niloten, Kuschiten." Gleiches gilt von den indianischen Stämmen Nord- und Südamerikas (Pettazoni 1960, 19, 28, 40, 49).

Sehr oft werden in mythisch-symbolischer Einkleidung Sonne und Mond und auch Sterne als die Augen des höchsten allsehenden Wesens betrachtet, dessen Funktion v.a. eine ethische, auf die Handlungen der Menschen gerichtete ist. Es weiß, beurteilt und vergilt die Taten, Worte und Gedanken der Menschen, Gemeinschaften und Völker.

Pettazoni macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass diese zur Religion führenden Erfahrungen allgemein, auch von modernen Menschen nachvollzogen werden könnten und auch würden. Als Beleg zitiert er Kants bekanntes Wort: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht ...: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Beide ... sehe ich vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz" [Kritik der praktischen Vernunft, 1. Aufl. 288289] (Pettazoni 1960, 76).

Pettazoni wies auch darauf hin, dass sich oft "zwei Typen von höheren Wesen ab[zeichnen]: eines, in dem die Allsichtigkeit vorherrscht, ein anderes, bei dem das Schwergewicht im Schöpferischen liegt", dem sich "die Allmacht beigesellt, da ja die Schöpfung das großartigste Werk und der sichtbarste Ausdruck unbegrenzter Befähigung ist [und] die Attribute der Ewigkeit und der Unendlichkeit" (1960, 72]. Sehr oft, aber nicht immer "vereinigen sich die beiden Aspekte gleichzeitig zu einem einzigen Bilde eines höchsten Wesens" (1960, 74).

Pettazonis Fazit ist: „Hinter dem einzigen und allwissenden Gott einer monotheistischen Religion erhebt sich der höchste allwissende Gott des Himmels einer polytheistischen Religion, wie sich hinter diesem wiederum häufig das höchste, allessehende Himmelswesen einer primitiven Religion abzeichnet.“ (1960, 81) Dazu komme, dass in frühen Jägerkulturen genauso verbreitet der Glaube an den "Herrn der Tiere" als Schutzpatron der Jagd ist, der in der Regel, aber "nicht immer mit den Zügen des höchsten Himmelswesens erscheint", d.h. manchmal auch sein Diener oder Helfer, aber auch Gegenspieler ist (1960, 91). Bei den primitiven Ackerbaukulturen spiele der Kult der "Mutter Erde" eine ähnliche Rolle. Pettazoni lässt offen, ob der erste Begriff des höchsten Wesens ursprünglich stärker der des transzendenten himmlischen Wesens oder der des immanenten Schützers und Ordners der kosmischen Lebenswelt (Herr der Tiere) war.

Pettazoni geht es schließlich auch darum, den Monotheismus als eine Religion mit einem  genau definierten sachlichen und geschichtlichen Eigenprofil herauszustellen. Dieser spezifische ideelle und geschichtliche Charakter echten Monotheismus besteht nach ihm darin: "Die Religionen, deren monotheistischen Charakter niemand in Zweifel ziehen kann, sind in erster Linie der Jahvismus, das Christentum und der Islam [sowie der] Zoroastrismus. [...] Jede von ihnen [hat] sich als neue Religion aus einer vorher dagewesenen polytheistischen religiösen Umwelt erhoben" und "die Heraufkunft einer jeden [ist] eng verbunden ... mit einer religiösen Reform und mit dem Werke eines Reformators [...] Der Monotheismus ist also etwas Späteres als der Polytheismus. Er geht aber aus ihm nicht durch Entwicklung hervor, wie es die evolutionistische Theorie wollte. Der Monotheismus ist kein Gebilde der Evolution, sondern der Revolution." (1960, 114, 117)

Ur-Theismus

Gegen diese exklusive Abgrenzung echten prophetischen Monotheismus' von der allgemeinen Religionsgeschichte stellte sich in der ersten Hälfte des 20. Jh. die Wiener Schule der Ethnologie und Religionsgeschichte, welche schwerpunktmäßig den Hochgottglauben der Stämme auf der Kulturstufe der Jäger und Sammler untersuchte. Die Schule war und ist neben Pettazoni und Mircea Eliade das bis heute wichtigste Forschungsprogramm zur Gottesidee in der Ethnologie. Leitfigur war Wilhelm Schmidt (18681956), Ethnologe, Religionswissenschaftler und "herausragender Linguist, dessen Klassifikation der austroasiatischen und austronesischen Sprachen bis heute Bestand hat", und seine Mitarbeiter W. Koppers, M. Gusinde und P. Schebesta, "exzellente Feldforscher, deren empirische Arbeitsweise" höchsten "Malinowskischen Standards entsprach" (Rössler: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: Ein historischer Abriss, Köln 2007, 1314). Das opus magnum der Schule ist Schmidt: Der Ursprung der Gottesidee. Eine historisch-kritische und positive Studie, 12 Bde., Münster 1912/1955. Eine Einführung bietet Schmidt: Handbuch der vergleichenden Religionsgeschichte. Ursprung und Werden der Religion, Münster 1930, sowie ders.: The Origin and Growth of Religion, London 1931. Die Motivation der Wiener Schule war auch theologischer Art, als ein "grandioser Versuch, ethnologische Frühgeschichte und kulturelle Evolution mit der biblischen Schöpfungsgeschichte in Einklang zu bringen" (Harris: The Rise of Anthropological Theory, London 1968, 379).

Wie die Frankfurter Schule der Ethnologie (Leo Frobenius, 18731918, A. E. Jensen) und amerikanische Ethnologen der Epoche (Schule von Franz Boas) arbeitet die Wiener Schule mit dem Paradigma der sog. Kulturkreise resp. Kulturräume resp. cultural areas sowie Kulturstufen. Das Paradigma kehrt heute in Huntingtons Theorie der Kulturblöcke (The Clash of Civilisations, New York 1996) wieder. Die Kulturkreismethode erfuhr seit der Mitte des 20. Jh. z. T. zu Recht heftige Ablehnung, wobei andererseits das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wurde. Immerhin geht die verbindliche Klassifikation der nordamerikanischen Indianer durch Clark Wissler (18701947) bis heute auf diese kulturhistorische Methode der Kulturkreise zurück.

Die kulturhistorische Methode in der Fassung bei Schmidt (Handbuch der Religionsgeschichte, 213243) unterscheidet vier vertikale Kulturstufen: (I) Urstufe der Jäger und Sammler, (II) Primärstufe der Viehzüchter und Ackerbauer, (III) Sekundärstufe der Verbindungen o.g. Kulturkreise, (IV) Tertiärstufe der ältesten Hochkulturen. Auf diesen Stufen werden horizontale Kulturkreise unterschieden. Auf der Urstufe der (i) exogam-monogamische, (ii) exogam-geschlechtstotemistische, (iii) exogam-gleichrechtliche Kulturkreis. Auf der Primärstufe der (i) großfamilial-vaterechtliche Kulturkreis der Viehzüchternomaden, (ii) exogam-vaterrechtliche Kreis der totemistischen höheren Jäger, (iii) exogam-mutterrechtliche Kreis der niederen Ackerbauer. Auf der Sekundärstufe der (i) freivaterrechtliche Kulturkreis und (ii) freimutterrechtliche Kreis. Argumente für die ethnologische Auszeichnung der Kulturkreise der Urstufe und ihrer Religion als Urvölker sind das Bewohnen geographischer Rückzugsgebiete, die archaische Wirtschaftsmethode (Wildbeuter) und die Primitivität der materiellen Kultur. Eine (m.E. allerdings nach der anderen Seite überzogene) Kritik dieser Methode bietet der Kölner Ethnologe Rössler: Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960: Ein historischer Abriss. Köln 2007, welche hier heruntergeladen werden kann: http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2007/1998/

Gegen Pettazonis Theorie der unreflektierten, mythologischen Gleichsetzung von physischem Himmel und Himmelsgott bei Völkern der Urkultur brachten die Feldforschungen der Wiener Schule sehr beindruckendes Material zugunsten der ursprünglichen theistischen Deutung des höchsten Wesens als eigene Persönlichkeit, das nach den Belegen auch nicht pauschal mit dem Himmelsfirmament oder -erscheinungen (Blitz, Donner) identifiziert werden kann. Für diese Sicht sprechen auch die drei häufigsten Namen des höchsten Wesens: Vater Schöpfer Der da oben, und die ihm fast allgemein zugesprochenen Eigenschaften: Allwissenheit Gutheit Schöpfermacht z.T. sittlicher Gesetzgeber und Überwacher - Empfänger von Gebet und Erstlingsopfern (Belege z.B. bei Schmidt: Handbuch der Religionsgeschichte, 254273). Am ausgeprägtesten erscheint die theistische Auffassung des höchsten Wesens bei verschiedenen afrikanischen und asiatischen Pygmäenstämmen, im arktischen Urkulturkreis und bei den Algonkin und Nordzentralkaliforniern.

Pettazonis Kritik, dass hier "in Bausch und Bogen ... die unserer westlichen Kultur eigene Gottesidee [des prophetischen Theismus der Bibel] auf die religiöse Kultur archaischer Zeiten übertragen" werde (Der allwissende Gott, Frankfurt 1960, 1011), wirkt angesichts der Sachlage überzogen. Wenn er sagt: "Das höchste Wesen bei primitiven Völkern entspricht nur ungefähr jenem monotheistischen Ideal" (ebd., 11), dann heißt dies eben doch auch: Es entspricht tatsächlich ungefähr jenem monotheistischen Ideal. Vgl. dazu aktuell Herta Peball: Einziger Gott Himmlische Wesen: Zur Diskussion zwischen P. Wilhelm Schmidt und Raffaele Pettazzoni über die "Hochgottkonzeption" Ein Stück Wissenschaftsgeschichte, Saarbrücken 2008. Ake V. Ström: Monotheismus I. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, Berlin / New York 1993, bringt die Kontroverse wohl richtig so auf den Punkt, dass Schmidt den Akzent auf die Gottesvorstellung als begriffliche mentale Repräsentation legt. Pettazonis Akzent ist hingegen deren veranschaulichende Konkretisierung in mythischen Bildern, Riten und Texten. Beide Ebenen seien empirisch Fakt und seien auch sachlogisch in beiden Deutungen enthalten. Daher lägen die Positionen nicht so weit auseinander, wie es scheine. Eine neue, im Prinzip marxistische Behandlung des Hochgottglaubens als Überbau-Produkt fortgeschrittener sozioökonomischer Verhältnisse seit der sog. Achsenzeit (ca. 600400 v. C.) liegt vor bei Lerro: From Earth spirits to Sky Gods. Socioecological Origins of Monotheism, Individualism, and Hyperabstract Reasoning from the Stone Age to the Axial Iron Age, Lanham MD 2000. Angesichts des in vorliegendem Menu vorgestellten religionsgeschichtlichen Materials bleibt Lerros Ansatz damit freilich weit hinter dem im 20. Jh. erreichten Erkenntnisstand zurück.

Kosmische Religion

M. Eliade [WikiCommons]Wie erwähnt, ist Mircea Eliade (19071986, Paris und Chikago) der dritte Religionswissenschaftler, der schwerpunktmäßig den Gottesbegriff in der Religionsgeschichte untersuchte, und zwar von einem strukturalistischen und phänomenologischen Ansatz aus. Eliades Forschungen zum Schamanismus sind bis heute der Standard und er zählt zu den besten Kennern der Weltreligionen überhaupt, was sich in dem monumentalen Werk Geschichte der religiösen Ideen [4 Bde., dt: Freiburg / Basel / Wien 2002], niederschlug. Einen konzentrierten Überblick bietet Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Hamburg 1957 [jetzt: 3. Aufl. Frankfurt a. M. 2007]. Eliades Ansatz ist geeignet, die entgegengesetzten Standpunkte Pettazonis und Schmidts zu harmonisieren, insofern er herausstellt: "Für den religiösen Menschen ist die Natur niemals nur 'natürlich': sie ist immer von religiöser Bedeutung erfüllt, ... denn der Kosmos ist eine göttliche Schöpfung [... die] die verschiedenen Modalitäten des Heiligen schon in der Struktur der Welt und der kosmischen Erscheinungen manifestiert [...] Dieses göttliche Werk behält immer eine gewisse Transparenz [...] Der Himmel offenbart direkt und 'natürlich' die unendliche Ferne, die Transzendenz Gottes. Die Erde ist ebenfalls 'transparent': sie erweist sich als Mutter und Ernährerin. In den kosmischen Rythmen manifestieren sich Ordnung, Harmonie, Beständigkeit, Fruchtbarkeit. Der Kosmos als Ganzes ist ein zugleich realer, lebendiger und heiliger Organismus: er offenbart die Modalitäten des Seins und der Heiligkeit: Ontophanie und Hierophanie begegnen sich." (1957, 68) [Bild oben: Gedenkbriefmarke zum 100. Geburtstag Mircea Eliades 2007, Moldawien]

Im Blick auf den Ansatz der Naturmythologischen Schule (s.o.) beinhaltet das diese Kritik: "Für den religiösen Menschen ist das 'Übernatürliche' unauflöslich mit dem 'Natürlichen' verbunden, ist die Natur immer noch Ausdruck für etwas, das sie transzendiert [...] Es wäre deshalb verfehlt, hier von ... 'Naturreligion' im Sinne des 19. Jahrhunderts zu sprechen, denn durch die natürlichen Aspekte der Welt begreift der religiöse Mensch die 'Übernatur'" (1957, 68).

Das Gesagte gilt vorrangig vom Himmel als Firmament: "Die einfache Betrachtung des Himmelsgewölbes löst bereits ein religiöses Erlebnis aus. Der Himmel offenbart sich als unendlich, als transzendent. Er ist das 'ganz andere' par excellence - d.h. etwas ganz anderes als der winzige Mensch und sein Lebensraum. Die Transzendenz enthüllt sich dem Menschen schon, sobald er sich der unendlichen Höhe bewußt ist. Der Begriff des 'Allerhöchsten' wird spontan zum Attribut der Gottheit [...] Der Kosmos das exemplarische Werk der Götter ist so 'konstruiert', daß das religiöse Gefühl der Transzendenz des Göttlichen schon durch die bloße Existenz des Himmels hervorgerufen wird. Und da der Himmel auf absolute Art existiert, belegen viele primitive Völker ihren höchsten Gott mit Namen, die eigentlich ... das Himmelsgewölbe oder Wettererscheinungen bezeichen, oder sie nennen ihn einfach 'Eigentümer des Himmels', 'Himmelsbewohner'" (1957, 69)

Die Dominanz und Prägnanz des so existentiell empfundenen höchsten Himmelsgottes ist allgemein: "Auch in den Religionen kulturell höherentwickelter Völker ... finden wir diese Bezeichnungen. Der mongolische Name des höchsten Gottes ist tengri, 'Himmel'. Das chinesische t'ien bezeichnet zugleich 'Himmel' und 'Himmelsgott'. Der sumerische Terminus für Gottheit, dingir [...] das babylonische Anu drückt auch den Begriff 'Himmel' aus. Der indogermanische höchste Gott, Diêus, bezeichnet zugleich die Himmelserscheinung und das Heilige [...] Es handelt sich hier nicht um 'Naturismus'. Der Himmelsgott wird nicht mit dem Himmel identifiziert, denn als Schöpfer des Kosmos hat er ja auch den Himmel geschaffen. Deshalb heißt er 'Schöpfer', 'Allmächtiger', 'Herr', Oberhaupt', 'Vater' usw. Der Himmelsgott ist eine Person und nicht eine Himmelserscheinung. Aber er wohnt im Himmel und manifestiert sich in Wettererscheinungen, in Donner, Blitzschlag, Sturm, Meteoren." (1957, 70) Für eine ausführliche Dokumention mit Bibliographie vgl. Eliade: Die Religionen und das Heilige. Elemente einer Religionsgeschichte, Salzburg 1954, 6170 und überhaupt 61146 (jetzt: Frankfurt a. M. 1998).

Dabei lässt sich Folgendes beobachten: "Die höchsten Wesen uranischer [transzendent-himmlischer] Struktur haben die Tendenz, aus dem Kult zu verschwinden. Sie 'entfernen' sich von den Menschen, ziehen sich in den Himmel zurück und werden dei otiosi [...] Nach und nach nehmen andere göttliche Gestalten ihren Platz ein, die mythischen Ahnen, die Muttergottheiten, die Fruchtbarkeitsgötter usw. [...] Das höchste Wesen uranischer Struktur bewahrt seinen ursprünglichen Rang nur bei den Hirtenvölkern. Eine Sonderstellung erreicht es in Religionen, die eine monotheistische Tendenz haben (Ahura-Mazda) oder ausgesprochen monotheistisch sind (Jahwe, Allah)" (1957, 71). Doch auch ansonsten gilt trotzdem: "Man erinnert sich noch seiner und ruft es als letzte Instanz, wenn alle Schritte bei den anderen Göttern und Göttinen, den Ahnen und Dämonen vergeblich waren." (73)

Eliade erhebt diesen Befund auch aus den Geschichts- und Prophetenbüchern der Bibel: "Dies gilt nicht nur für die primitiven Völker. So oft die alten Hebräer eine Epoche relativen Friedens und Wohlstandes erlebten, entfernten sie sich von Jahwe und näherten sich den Baalen und Astarten. Nur historische Katastrophen vermochten sie wieder zu Jahwe zu bekehren. 'Sie aber schrien zum Herrn und sprachen: 'Wir haben gesündigt, denn wir haben den Herrn verlassen und den Baalen und Astarten gedient. Nun aber errette uns aus der Hand unser Feinde, so wollen wir dir dienen'" (1 Samuel 12, 10)

Prophetischer Theismus

Die kanonischen Schriften des prophetischen Theismus sind auch eine Religionsgeschichte. Die im Alten und Neuen Testament vorliegende religionsgeschichtliche Datenbasis und Theorie wurde um Dimensionen häufiger und umfassender wissenschaftlich erörtert als alle anderen. Sie hat auch die mit Abstand längste und einflussreichste Wirkungsgeschichte. Wir erörtern diese Religionsgeschichte in den Menus Tora Propheten Schriften Neues Testament und Messianische Ära. Im Menu ‚Tora‘ formulieren wir die herausfordernde und im Einzelnen zu begründende und fachübergreifend zu erörternde These: Der Tanakh [Altes Testament] auf der Basis der Tora [Pentateuch] ist das global früheste zusammenhängende Geschichtswerk zur Frühgeschichte und zu den ersten Hochkulturen mit dem rationalsten Ansatz, dem größten Textumfang sowie dem längsten Berichtszeitraum und mit dem Fokus auf dem prophetischen Theismus als effektivem Schrittmacher von vernunftbasierter Aufklärung und Ethik sowie der längsten und umfassendsten Religions-, Kult- und Sozialkritik der Geschichte im Umfeld der jeweils modernsten urbanen Zivilisationen (Sumer, Ägypten, Phönikien, Babylonien, Persien, Hellenistische Globalisierung).

Zur Weltanschauung und zum religionsgeschichtlichen Ansatz des prophetischen Theismus liegt eine ausführliche Darstellung in dieser Verknüpfung vor R3. Weltanschauung der Tora.pdf. Die Untersuchung ebendort folgt dieser Gliederung:

(1) Axiomatische theistische Grundüberzeugung: Das Universum wird hervorgebracht und seine Geschichte steht unter der Regierung eines sowohl weltranszendenten als auch weltimmanenten persönlichen göttlichen Absoluten

(2) Die Anerkennung der Realität des Theismus ist die Mutter aller Dinge: „Anfang der Weisheit ist Respekt und Achtung vor dem Spirituellen und personalen Göttlichen“ (vgl. Sprichwörter 9, 10)

(3) Das göttliche Absolute ist Quelle der Ethik und des Heils (Weisheit, Erfolg und Glück) sowie Richter des Handelns von Menschen und Staaten

(4) Thema der Tora und des Tanakh überhaupt ist die Rekonstruktion und Verkörperung von (1) bis (3) in der globalen Dynamik einer nicht-theistischen und nicht-ethischen Zivilisation

(5) Das personale göttliche Absolute selbst inspiriert und motiviert die Erneuerung und Verkörperung des Theismus unter (4) durch die prophetische Berufung und Mission Abrahams aus der urbanen Weltmetropole Ur im nahöstlichen Ausgangs- und Brennpunkt wissenschaftlich-technischer Hochkulturen

(6) Das personale göttliche Absolute selbst beruft und formt aus den Nachkommen Abrahams eine sakrale und politische Elite ein priesterliches und königliches Volk (Exodus 19, 56) als Träger der Rekonstruktion des Theismus

(7) Die Formung der sakralen und politischen Elite resp.des Priestervolkes Israel vollzieht sich während eines Jahrtausends durch prophetische Sprecher, Schriftsteller und Akteure gegen die beherrschende Schwerkraft der nicht-theistischen und tendenziell nicht-ethischen Zivilisationen und erfasst effektiv nur einen „Rest Israels“ (Jesaja 10, 20)

(8) Die Rekonstruktion und Verkörperung des Theismus in (1) bis (7) zielt auf die messianische Ära mit der Neutralisierung der nicht-theistischen und ethisch gebrochenen Zivilisationen und deren Eingliederung in die sakrale und politische Elite des Priestervolkes und somit auf emanzipierte Mündigkeit und Inspiration aller Menschen durch das Göttliche: „Ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch“ (Joël 3, 1)

In den Menus Neues Testament und Messianische Ära wird der Punkt (8) wie folgt näher bestimmt:

(9) Die neue ideale Ära des Messias gründet in einem Neuen Bund Gottes mit den Menschen: „Seht, es werden Tage kommen Spruch des Herrn , in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, Jeremias Bebenhausen Glasfenster 1335 gemeinfreiden ich mit ihren Vätern geschlossen habe“. So der spirituelle Kritiker, Vordenker, Visionär und Berater in den letzten Jahren Jerusalems und Judas vor dem Untergang 587 v. C., Jeremia, 31, 3134. [Bild links: Prophet Jeremia, Glasmalerei 1335 in der Zisterzienserabtei Bebenhausen (Tübingen)]

(10) Die sakrale und politische Elite der messianischen Ära ist das christliche Israel oder die "eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" (Credo von Nizäa 325 n.C.). Die meisten Kontinente: Europa, Nord- und Südamerika, Australien und Schwarzafrika verkörpern die Kultur des christlichen Israel, während der islamische Kulturkreis seit 1990 eine historisch beispiellose Konversionsbewegung zum Christentum zeigt. Das christliche Israel erfüllt so die Definition der messianischen Ära im Tanakh (Jesaja 42, 18, 49, 16; Matthäus 12, 17–21 [Erstes und Zweites Gottesknechtlied]): Der Messias "bringt den Völkern das Recht [...] Ich, der Herr [...] habe dich [= den Messias] dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein [...] Ich bin Jahwe [= Ich bin der Seiende], das ist mein Name; ich überlasse die Ehre, die mir gebührt, keinem andern, meinen Ruhm nicht den Götzen.“

Methodische Leitlinie des Buches Genesis in der Wiedergabe der Vorgeschichte von Adam bis Noe (Sintflut) ist der Kampf der Kulturen zwischen den Weltmenschen: Kainiten und den Gottessöhnen: Sethiten. Weltmenschen sind dabei definiert durch Selbstherrlichkeit, Ichsucht und Egozentrik bis zur Verachtung Gottes sowie jeglicher Spiritualität und Ethik. Siehe hierzu das Papier R7. Die Vorgeschichte in der Tora.pdf.

Dieselbe methodische Leitlinie ist für die Frühgeschichte von Noe bis Abraham maßgeblich. Siehe hierzu das Papier R8. Frühgeschichte der Tora.pdf. Dasselbe gilt für die Bronze- und Eisenzeit von Abraham bis zum Untergang der Monarchie. Hier verkörpert das Haus Jakob resp. das altestamentliche Israel die spirituelle Kultur der Söhne Gottes, welche der Kultur der Weltmenschen resp. dem global gewordenen amoralischen Heidentum gegenübersteht, aber selbst schließlich an Synkretismus und Amoralität scheitert (Zerstörung Jerusalems und Babylonische Gefangenschaft). Vom Babylonischen Exil bis Johannes den Täufer und Jesus von Nazareth (Zeitenwende) wird die spirituelle Kultur verkörpert von einem hl. Rest des alttestamentlichen Israel in Erwartung des von Jesaja/Jeremia/Ezechiel angekündigten Neuen Bundes. Vgl. für weitere Information hierzu die Abhandlungen R9. Spätbronze_Frühe Eisenzeit in der Tora. Exodus_Landnahme.pdf und R10. Tora in Monarchie - Untergang - Wiederaufbau.pdf im Untermenu ‚Tora‘. Seit der Zeitenwende bis heute wird nun, wie bekannt und in Rede stehend, die spirituelle Kultur mit dem christlichen Israel resp. der apostolischen und katholischen Weltkirche als Träger des Neuen Bundes identifiziert, dessen Mission im weiteren Verlauf der Kulturgeschichte die ist, sukzessive und unumkehrbar die nicht-theistischen und ethisch gebrochenen Zivilisationen der Weltmenschen zu neutralisieren und einzugliedern.

Analysen zur Religionsgeschichte zeigen, dass Zivilisationen mit dem Eintritt in die neolithische Revolution und noch einmal verstärkt mit der Ausbildung materieller Hochkulturen regelmäßig ein Verblassen des Hochgottglaubens erkennen lassen und nichttheistische: animistische, polytheistische Kulte sich in den Vordergrund schieben. Wir haben dies oben dokumentiert. Thema der Tora und des Tanakh überhaupt ist nun die Rekonstruktion und Verkörperung der theistischen Grundüberzeugung mit dem Ziel der Anerkennung der Realität des Theismus als Quelle der Ethik und des Heils in der globalen Dynamik nicht-theistischer und tendenziell nicht-ethischer Zivilisationen. Eine weiterführende Diskussion zur Gottesidee bzw. Theologie der Tora im religionsgeschichtlichen Umfeld finden Sie auf der folgenden Verknüpfung, R4. Theologie der Tora.pdf, welche diese Punkte behandelt:

(1) Theistischer Hochgottglaube und Polytheismus in der Religionsgeschichte

(2) Der Gott der Sethiten, Semiten und Abrahams, Isaaks und Jakobs

(3) Reform-Theismus im Nahen Osten, Mittelasien und im Fernen Osten

(4) Mosaischer Reform-Theismus

(5) Theistisch-polytheistischer Synkretismus im Nahen Osten, Mittelasien und im Fernen Osten

(6) Theistisch-polytheistischer Synkretismus in Israel

(7) Überwindung des theistisch-polytheistischen Synkretismus in Israel und Theismus als zukünftige globale Leitkultur